Einsame Entscheidung (Flug von Ingolstadt nach Lübeck)

Einsame Entscheidung

Ich arbeite seit einiger Zeit in Ingolstadt, obwohl ich aus Köln komme. Meine Frau ist aber Lübeckerin. Wir sind Deutschland, würde die Bild-Zeitung wohl titeln. Für eine Familienfeier sollte ich Freitags aus Ingolstadt nach Lübeck reisen, quer von „unten“ nach „oben“, wenn man sich die Deutschlandkarte ansieht. Positiv formuliert: Mehr Deutschland in einer Tour geht kaum. Da ich Freitags von der Arbeit kommen sollte und Sonntags Abends wieder zurück in Ingolstadt sein musste, schaute ich auf die möglichen Transportwege. Von Ingolstadt nach München mit meinem Auto, dann Flieger nach Hamburg (als Passagier) und von dort mit dem Traveliner oder gar Taxi nach Lübeck. Acht Stunden, danke, nein. Auto? Mit meinem Audi fahre ich sehr gern, nicht nur weil ich in Ingolstadt arbeite. Von Köln nach Ingolstadt, regelmäßig, kein Problem. Aber auch per Auto wären das mindestens 6 Stunden gewesen – eine Strecke! Kannste vergessen, habe ich mir gedacht. Was bleibt? Na klar! Eine Piper PA28 habe ich in Ingolstadt (Manching) buchen können, fliege damit direkt nach Lübeck. Unter drei Stunden, das passt. Den Anschluss an das Instrumentenrating habe ich zeitlich noch nicht gefunden, mache ich nach dem Projekt. Aber dann muss ich das eben VFR fliegen. Im Sommer eigentlich ja kein Thema. Maschine gebucht (danke lieber Jörg!) und ich kann los. Den Nachtflugschein habe ich, aber da es mitten im Sommer ist und Lübeck ohnehin um 22 Uhr schließt, reicht ein Tagesflug. Sind ja nur drei Stunden.

Das Wetter scheint mitzuspielen. Lediglich kurz vor Lübeck hängen die Wolken ein wenig herunter, aber das sollte schon passen. Also los geht’s. In Ingolstadt habe ich super Wetter. Der Flughafen ETSI, ein Militärflughafen wie unschwer aus dem ICAO-Code ablesbar ist, zeigt sich von einer sehr angenehmen Seite. Hier fliege ich gern ab (absolut positiv gemeint). Die Piper, eine PA28 mit 160 PS, fliegt sich unspektakulär. Ich empfinde sie als kleine viersitzige Schwester zur sechssitzigen PA32, die ich in meinem Bericht über die Grand Canyon Tour hatte. Sie mag etwas älter sein, aber das Interieur ist wirklich schön neu gemacht. Ich fliege sie sehr gern, nicht nur weil die Pipers eben einfach unglaublich robust sind.

Wolkenuntergrenzen in Richtung LübeckGanz schlechtes Wetter nach Lübeck

Bis kurz vor Lübeck, also fast drei Stunden nach dem Abheben, hätte ich nicht gedacht, dass ich über diesen Flug mal einen Bericht verfassen würde. Und selbst hier, kurz vor dem Zielflughafen EDHL, hätte es eigentlich noch nicht für einen Bericht gereicht. Das Wetter zieht sich recht zügig zu, ich gehe von meiner Flughöhe von 7500ft runter und schaue, dass ich den Rest “untenrum” fliege, bevor ich über einer geschlossenen Wolkendecke hänge. Das klappt aber problemlos. Der Towermensch in Lübeck ist wie immer freundlich. Ich patze bei der Wiederholung einer Anweisung über Funk, er weist mich freundlich darauf hin, dass ich die doch bitte genau zurücklesen sollte. Ja, klar, mache ich dann auch sofort.

Froh darüber, den Travel-John nicht genutzt haben zu müssen, weil ich in weiser Voraussicht nicht zu viel Kaffee vor dem Flug getrunken habe, mache ich eine lange Landung, um nicht ewig bis zum Parkplatz zu rollen. Lübeck, hier bin ich.

Die Familienfeier vergeht, wie sollte es ein Pilot anders wahrnehmen, wie im Flug. So geht es eigentlich mit dem ganzen Wochenende. Der Sonntagabend kommt schneller als mir lieb ist. Das Wetter wird allerdings nochmal deutlisch schlechter. Ich habe zwar mit meinem Schwager Peter, der eine US-IFR-Lizenz hat, schon viel erlebt, aber riskieren will ich dennoch nichts. Also ab zum Flieger, allerdings mit der Option, dass ich zurückkomme, wenn ich meine, dass ich mir den Flug nicht mehr zutraue.

Schlechtes Wetter in Lübeck

Ganz schlechtes Wetter nach Lübeck

Es regnet an diesem Sonntagabend. Das GAFOR zeigt Mike 5, da bleibt im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr viel Luft bis X-Ray und damit dem Verzicht auf das Fliegen. Ok, Mike 5 bin ich noch nicht geflogen, habe aber auch keine Angst. Ich achte aber genau darauf, dass ich immer einen Rückzugsweg zurück zum Lübecker Flughafen habe. Also nochmal aufgetankt und los geht es. Der Tower entlässt mich und ich drehe im Funkgerät Bremen Information ein. “Bremen Information, Delta Echo Golf Whiskey Romeo, PA28, VFR from Lübeck to Ingolstadt, just airborne, request traffic information”. Ich bekomme von der netten Dame einen Squawk zugeteilt und bemerke sofort den doch regen Funkverkehr. Also schon noch einige weitere Flieger, die heute bei dem Wetter unterwegs sind, ok. Der nächste Funkspruch lässt mich tief durchatmen: Eine Maschine macht aufgrund des schlechten Wetters eine Sicherheitslandung. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Flieger nun auf einer Wiese oder doch noch auf einem Flugplatz ankommen wird. Hmm, das hört man nicht so gern über Funk, wenn man da oben ist. Mulmig wird mir nicht, aber ich weiß schon, dass ich nicht darauf wetten sollte, heute in Ingolstadt zu landen. Nur mein Rückweg darf mir nicht versperrt werden, darauf achte ich.

Ganz schlechtes Wetter nach Lübeck

Umkehr in LübeckDoch das Wetter wird nach einer halben Stunde Flug so schlecht, dass ich keine Chance mehr sehe. Die Wolkengrenze sinkt immer mehr ab und geht deutlich unter 500ft. Nee, Leute, nicht mit mir. Ich drehe zurück auf den Kurs von dem ich gekommen bin und unterrichte die Dame am Funk bei Bremen Information, dass ich wieder zurück nach Lübeck fliege. Ingolstadt ist damit heute ausgefallen. Ich denke daran, dass ich einen Bericht von einem Flieger gelesen habe, der VFR in Wolken geflogen war und am Harz verunglückt ist. genau meine Strecke. Nein, sowas mache ich nicht. Dann richtiges IFR, aber das habe ich ja noch nicht. Noch im Flieger rufe ich meine Frau an, sie wird mich kurze Zeit später wieder abholen. Ich habe gerade 30 Liter Sprit verflogen und bin am Leben, kein so schlechter Deal.Piper im Hangar LübeckSuper Wetter von Lübeck nach Ingolstadt, oder?

Da zudem noch Gewitter angekündigt sind, stelle ich die Maschine in den Hangar. Morgen früh sieht das Wetter weitaus besser aus, dann wird es problemlos funktionieren, denke ich mir. Es ist “Oskar-Wetter” angesagt, also garnichtmal so schlecht. Nur Vormittags noch einige “Mikes” unterwegs, die sich aber zum Mittag verziehen. Hmm, ich fliege recht früh, aber nach dem Bodennebel, schauen wir mal.

Super Wetter von Lübeck nach Ingolstadt, oder?

Dicke Wolken unter mirDer nächste Tag kommt und die Sonne stahlt aus ihrer ganzen Kraft. Na, was für ein langweiliger Flug das wird, denke ich mir. Zurück geht es auf 8500 ft (“NEODD” und “SWEVEN”, ich hätte nie gedacht, dass ich mir diese komischen Eselsbrücken echt merken würde). Also South und West fliege ich Even, also gerade Flugflächen (mit 500er am Ende wegen VFR). Ich drehe wieder nach der Verabschiedung von Lübeck Tower auf Bremen Information. Die nette Dame von gestern ist wieder am Funk. Sie erinnert sich an gestern und sagt gleich “Das war die richtige Entscheidung gestern, umzukehren”. Ja, definitv, kein Vergleich im Gegensatz zu heute.

Ich fliege eine ganze Zeit über einer 3/4-Bewölkung (broken), das METAR sagt, dass in Ingolstadt die Bewölkung nur 1/2 ist (scattered), ich komme also runter, passt. So in etwa in 75% der Strecke nach Ingolstadt, über dem Ort Hof, werden die Wolken dann doch dichter und gehen offenbar über 10000ft hoch. Ich habe nur die 160PS und bin mir mittlerweile garnicht mehr so sicher, ob das TAF noch die “Scattered” Wolken vorhält. Also beschließe ich, von meinem “Hochsitz” abzusteigen und unter die Wolken zu gehen.  Oh je, hier rappelt es aber im Karton, davon merkt man oberhalb der Wolken ja nichts. Immerhin habe ich nun unter mir keine Wolken mehr. Das Wetter hier unten ist aber doch schon weitaus schlechter als ich dachte. Ich bin recht früh unterwegs und diese “Mikes” sind offenbar noch nicht weggezogen. Mist. Im wahrsten Sinne des (englischen) Wortes.

Jetzt reichts. Das Wetter wird zu schlecht.

FL120 und endlich über den Wolken.

Über Hof scheinen die Wolken immer tiefer und die berge immer höher zu kommen. Das kann doch echt nicht wahr sein. Diesmal habe ich 3/4 der Strecke schon durch und in direkter Nähe ist auch kein Ausweichplatz, wo ich landen könnte. Selbst eine Sicherheitslandung kann man hier getrost vergessen, alle Felder und Wiesen sind schräg und oft bewaldet. Es wird, wie gestern auch, zu kritisch und ich beschließe, 90 Grad nach links auszuweichen und zu steigen, bis es nicht mehr geht. Auf jeden Fall fliege ich jetzt nicht in diese Suppe ein. Links oben kommen einige Sonnenstrahlen her, da fliege ich hin und versuche es über die Wolken. Bei 9800ft schaffe ich es, bei München Information abgemeldet, mich bei München Radar bemerkbar zu machen. Über FL100 (etwa 10000ft, je nach Luftdruck) komme ich in Luftraum Charlie. Mache ich eigentlich gern, so mit dem Airlinern fliegen. Radar ist ebenso wie Information immer nett und hilfsbereit, so auch heute. Ich requeste gleich FL110 und hoffe, dass mich die 160 PS da noch hinbringen und ich wieder auf Kurs drehen kann. Mein GPS meint, ich wäre schon nicht mehr in Deutschland, so weit östlich bin ich gestiegen. Rund 11000ft reichen immer noch nicht, ich “requeste higher”. Der Lotse gibt mit FL120 und ich steige weiter. Und dann ist es gut: Ich bin über den Wolken. Das hätte ich dem Flieger garnicht zugetraut. Die Wolkendecke unter mir sieht fest geschlossen aus. Egal, ich bin auf jeden Fall wieder frei und ich komem definitiv runter, da habe ich ein Glück mit Peter, meinem Schwager, schon viel geübt. Ich würde mich also auch trauen, einen Notfall auszurufen und durch die Wolken zu sinken, kein Thema. Je nachdem wie tief die Wolkendecke unten ist, wäre mir ein ILS echt lieb. Mit einem Instrumentenlandesystem kann ich umgehen, ansonsten würde ich nicht gern ohne Sicht nah an den Boden kommen. Das ist mein einziges Problem. Kurz vor Ingolstadt erkenne ich eine Lücke in den Wolken und kann sogar den Boden sehen – da muss ich runter! Im gleichen Augenblick fragt der Lotse “ready for descent?”. Und wie ich ready für den Abstieg bin! Zack geht es runter, ein Glück nicht durch die Wolken. Das wäre die letzte Option gewesen. Puh, das letzte Stück, so etwas 30 Minuten, fliege ich unter den Wolken und kann es nicht fassen: Die Wolken werden schlagartig immer weniger, ich hätte also völlig problemlos die ganze Strecke über oberhalb der Wolken fliegen können und ganz bequem bei “scattered” Wolken in Ingolstadt runtergehen können. Das TAF hat doch recht gehabt, klar.

Mein Fazit?

Mein Schwager sagte immer, dass ich nicht versuchen sollte, unter den Wolken irgendwie durchzukommen. Flieg obenrum, war sein Motto. Klar, mit seiner neuen 300PS-Mooney kein Thema, aber es geht tatsächlich auch mit meiner “halbstarken” Piper. Beim nächsten Mal traue ich dem TAF mehr und frage ggfs. bei Radar oder Information nach, wie das aktuelle METAR ist. So hätte ich bequem auf FL120 die IFR-Wegpunkte anfliegen können und alles wäre gut gewesen. Naja, so habe ich immerhin etwas dazugelernt und es hat sich wieder bewiesen, dass “oben besser als unten” ist, mein tägliches Motto ;).

Rollen durch den Wald (Ingolstadt, ETSI)

Landung in Ingolstadt (ETSI)